Fermenterdeckelkonstruktion

Bioreaktoren eignen sich zur Kultur von Bakterien, Pilzen, Algen und Pflanzenzellen um Stoffwechselvorgänge zu untersuchen oder Stoffe herzustellen, denn Zellen leisten bei geeigneter Kultur oft mehr als nur den Selbsterhalt oder die Vermehrung. Von Zellen hergestellte Stoffe können zum medizinisch (z.B. Taxol) oder technisch (z.B. Kunststoff) eingesetzt werden. Zunehmend in den Fokus kommt auch der Einsatz von Zellkulturen zur Herstellung von Geweben:

  • zur Heilung zerstörter Gewebebereiche (Herzmuskel nach Infarkt) [1],
  • zum Ersatz von Teilfunktionen von Organen (Insulinregulation der Bauchspeicheldrüse) [2] oder
  • zur Herstellung von künstlichem Samen (Mangrove) [3].

Zellkulturen benötigen eine sterile Umgebung und geeignete Wachstumsbedingungen. Das Volumen des benötigten Mediums, benötigte Gase, Temperatur- und Lichtbedingungen geben Form, Art und Größe der Kulturgefäße weitgehend vor. Eingesetzte Volumina reichen hier von 10µl (Terasaki-Platten) im Labormaßstab über einige Liter (Technischer Maßstab) bis zu mehreren Kubikmetern (Großtechnischer Maßstab).

Die meisten Kulturen mit einer Medienhöhe von mehr als 1 cm benötigen eine aktive Durchmischung des Kulturmediums oder andere geeignete Verfahren zur Aufrechterhaltung gleichmäßiger Wachstumsbedingungen. In Flüssigkulturen neigen Zellen zur Sedimentation oder sie wachsen ohnehin adhärent. Dann verbrauchen sie die lokal verfügbaren Ressourcen wie Nährstoffe, Spurenelemente oder Gase und gehen ein, sobald diese erschöpft sind.

Lastenheft des Bioreaktors:

  • Medienvolumina von 0,2 bis 2 Liter
  • Reaktor inklusive Deckel autoklavierbar
  • optierbare Medienbewegung durch Rühren oder Begasungsführung
  • minimal 4 im Durchmesser variierbare Zugänge senkrecht durch den Deckel
  • zugelassen für die Herstellung von Lebensmitteln
  • kostenoptimal (<100 Euro für Reaktorgefäß inklusive Deckel und Verschlüssen)
  • leicht zu reinigen
  • keine oder wenige herstellerspezifischen Bauteile

Einmachgläser erfüllen einige der wichtigsten Anforderungen. Die klassischen Form der 60er und 70er gibt es oft günstig in Füllvolumina von 1 Liter bis 2 Liter auf dem Gebrauchtmarkt.

Abb. Klassische Einmachgläser, links 2016, rechts 1972

Vorteilhaft stellen sich zudem die einfach zu adaptierenden Gummiringe heraus. Dreilagig eingesetzt erfüllen sie alle Voraussetzungen an gute Dichtung (Greatings to Goethe), Elastizität (lässt mehr Toleranz in der Produktion und bei Wechsel der Hersteller zu).

Abb. Gummiringstapel auf Einmachglas

Unter der Voraussetzung beliebig viele „Glasfermenter“ jederzeit auch als Ersatz im Zugriff haben zu müssen, bietet sich eher die Nutzung einer aktuellen Produktion an. Zudem bieten aktuelle Produkte zusätzliche Formen wie „Tulpenform“ (s.o. 2016) an, was die Bodenfläche reduziert und für die Begasungsmischung in Fotobioreaktoren eine günstige Wahl darstellt.

Nachteil ist der komplexere Aufbau des Reaktordeckels, denn es fehlt eine verlässliche, breite Auflage für Gummiringe. Der Aufbau erfordert den Einbau eines O-Ringes in den Deckel. Zur einfachen Handhabung (damit der O-Ring nicht herausrutscht) ist eine Nut im Deckel zur Aufnahme des O-Rings vorzusehen.

Abb. Innenansichten eines Deckels für den klassischen Aufbau mit planer Umlaufdichtung

Abbildung fehlt noch

Abb. Innenansichten eines Deckels für den modernen Aufbau mit O-Ringes

Auswahl des Deckelmaterials

Die goldene Wahl ist Teflon, das Gold des Labor-Feinmechanikers. Teflon ist:

  • hinreichend weich,
  • glatt,
  • temperaturstabil,
  • besitzt eine geringe Wasseraufnahmekapazität,
  • ist temperaturstabil,
  • chemisch inert
  • teuer
  • umweltschädlich.

Die letzten beiden Aspekte schließen Polytetrafluorethylen (PTFE) von der Stoffauswahl aus. Ein weiterer, geeignet erscheinender, biokompatibler Kunststoff ist Polyetheretherketon (PEEK). Leider steht sein Preis einer Verwendung für große Bauteile auch noch etwas entgegen.

Am Ende einer langen Suche über Polypropylen (PP), Polyethylen (PE) und einigen anderen Materialien landet man unausweichlich bei Polyoxymethylen (POM), da dieses Material hinreichend temperaturstabil ist (maximale kurzzeitige Anwendungstemperatur 140°C d.h. autoklavierbar) eine geringe Wasseraufnahme zeigt, kaum quillt, hinreichend stabil gegen Chemikalien und biologischen Abbauprozesse ist. Insbesondere tut sich das Material durch den hervorragend fließenden Span bei seiner Bearbeitung hervor und zeigt sich damit selbst für Anfänger hinreichend geeignet. Es besitzt eine geschlossene Oberfläche, lässt sich aber nach 10 Sekunden dauernder Vorbehandlung mit 85% Orthophosphorsäure bei 50°C und anschließendem Abspülen mit destilliertem Wasser mit 2-Komponenten-Kleber kleben. (Tipp aus Wikipedia-POM-Artikel).

Eine additive Fertigung des Deckels würde zwar die Materialmenge einsparen, die bei subtraktiver (spanender) Fertigung als Späne durch das Drehen, Bohren oder Fräsen abgetragen werden, aber die bei additiver Fertigung (3D-Druck) unvermeidbar anfallenden Lufteinschlüsse, würde beim Autoklavieren des Deckels unweigerlichen Bruch bedeuten.

Deckelkonstruktion mit einem zentralen und 6 konzentrisch angeordneten Zugängen.

Eine Mindestmaterialstärke des Deckels von 5mm soll die Stabilität des Deckels gewährleisten. Die Dicke des Materials beträgt 22mm.

Der lichte Innendurchmesser der Deckelöffnung ist etwas größer als der Außendurchmesser der Dichtungsauflage des Glases zu wählen, damit thermische Arbeit oder leichtes Quellen des Kunststoffs nicht zu Bruch führt. Der Innendurchmesser der zu fräsenden Vertiefung soll 107,5mm betragen bei einer Tiefe von 8,2mm betragen. Eine konzentrische Nut für den emporstehenden Glasrand ist mit 1,27mm vorzusehen. Sie besitzt einen Innendurchmesser von 87,0mm und einen äußeren Durchmesser von 93,0mm. Einmachgläser unterschiedlicher, klassischer Einmachgläser besitzen unter Umständen leicht abweichende Dimensionen. Der Innendurchmesser der Nut gibt den maximalen äußeren Abstand eines Zugangsloches vor. Zu bohren sind die Löcher mit einem 12,5mm Bohrer. Die Mitte des Werkstücks ergibt sich zeichnerisch oder beim Anreißen mit dem Diamantstift aus dem Kreuzungspunkt der Diagonalen. Die Bohrungen der 6 konzentrisch angeordneten Gewinde für die Zugänge (Ports) sollten einen Abstand von 34,0mm vom Deckelmittelpunkt einhalten, damit Verschraubungen, Aufbauten, Sensoren, Ventile, Filter etc. handhabbar bleiben.Mit 6 Zugängen gleicher Bohrung ergibt sich ein Winkel von 60° bei einem Abstand von 34,0mm vom Mittelpunkt. Mit Zirkel und Geodreieck können die Mittelpunkte zwar angezeichnet werden, aber der Automatisierungsvorteil der CNC-Fräse wäre hinfällig.

Das Steuerprogramm der CNC-Fräse benötigt seine Angaben in xy-Koordinaten relativ zu einem Bezugspunkt. Wird der Deckelmittelpunkt zum Bezugspunkt, sind die Bohrkoordinaten als Polarkoordinaten zu betrachten. 6 Zeiger mit der Länge 34mm und den Winkeln 0°; 60°; 120°; 180°; 240° und 300° sind ein kartesisches Koordinatensystem umzurechnen.

Die Bohrungen erhalten anschließend ihr Gewinde und ihre Kabelverschraubungen als Ports. Kabelverschraubungen sind sowohl in metallischer Ausführung als auch aus Acetal = Delrin = POM auch in wasser- und heißdampfdichten Versionen (IP68) mit unterschiedlichen Innendurchmessern zur pressenden Verschraubung verfügbar. Vor der Montage sind allerdings zunächst die Stege, die eine Sicherung gegen unbeabsichtigtes Lösen der Verschraubung darstellen durch mildes (händisch) Abtragen mit einem entsprechend großen Bohrer zu entfernen. Die Deckelfixierung mittels Schenkelschrauben und regulierbarem Andruck wird Inhalt eines Folgebeitrages sein.

Fertiger Bioreaktor mit Rührer, Tauchhülse für Temperatursensor und Deckel.

[1]

[2]

[3]

Links zu den Literaturstellen und fehlende Abbildung folgen zeitnah. (Stand 0.0.2 vom 13.1.18)