Hormone und was die Zellen so brauchen

Zellkulturmedien sind komplexe, gepufferte Substrate, die Salze, Zucker, Lipide und Energielieferaten (für heterotrophe Wachtumsvorgänge) enthalten. Bevor diese Punkte im Detail angesprochen werden vorweg: Jede Zelllinie, jedes Gewebe ist anders. Es gibt nicht ein für alle Zelltypen, Gewebe und Differenzierungs- und Embryonalisierungsvorgänge gleiches Medium. Kann es nicht geben. Einige Bestandteile des letztlich in der Kultur verwendeten Mediums sind metastabil, zerfallen also abhängig von

  • Temperatur,
  • in der Lösung ebenfalls vorhandenen Substanzen,
  • Licht und
  • Gas.

Zu diesen Grundsubstanzen können sich Substanzen gesellen, die im höchsten Maß tierart und/oder pflanzenartspezifisch sind. Beispiel: Immunologisch und endokrinologisch wirksame Proteohormone, Peptidmediatoren wirken unter Umständen in den Spezies unterschiedlich (oder gar nicht). Interleukin 6 der Maus ist in der Kultur von humanen Zellen unwirksam und umgekehrt.

Hausmaus (Mus musculus)
Von commons.wikimedia.org/wiki/User:George_Shuklin; Eigenes Werk</span>, CC BY-SA 1.0, Link
HumanNewborn.JPG
Von https://commons.wikimedia.org/wiki/File:HumanNewborn.JPG Von Ernest F – <span class=“int-own-work“ lang=“de“>Eigenes Werk</span>, CC BY-SA 3.0, Link
Auxin.jpg
Von William M. Gray – Gray WM (2004) Hormonal Regulation of Plant Growth and Development. PLoS Biol 2(9): e311. doi:<a rel=“nofollow“ class=“external text“ href=“https://dx.doi.org/10.1371/journal.pbio.0020311″>10.1371/journal.pbio.0020311</a>, CC BY 2.5, Link
Maus Mensch Arabidopsis

Eine ähnliche Aussage trifft für Konzentrationen von Stoffen und Gasen zu. Die Protonenkonzentration (pH-Wert) im Medium von Tierzellen und Pflanzenzellen unterscheidet sich im allgemeinen. Die Stoffkonzentration von Salzen unterscheidet sich nicht nur von Spezies zu Spezies sondern auch von Organ zu Organ derselben Spezies zum Teil grundlegen. Harnstoffkonzentrationen in der Niere variieren zwischen den Regionen hochsignifikant.

Das Studium der Bedingungen in situ lohnt im Rahmen der Vorbereitungen für Primärkulturen von Geweben und Zellen und hilft Misserfolge vermeiden. Außer den Konzentrationen und Bedingungen des Gewebes im Organ zählt auch die Orientierung des Gewebes, da viele Gewebe und die in ihnen befindlichen Zellen einer spezifischen Orientierung unterliegen, die entweder aufrechterhalten werden muss, wenn die Differenzierung aufrechterhalten bleiben soll. Beispiel: Kultur von Darmepithel. Verschluss zwischen den Zellen, gerichteter Transport von Stoffen aus dem Darmlumen in den Körper. Extrazelluläre Matrix trägt zur Aufrechterhaltung der Orientierung bei.

Zell-Zellkontakte, parakrine / autokrine / juxtakrine Faktoren, Hormone sind regulative Mechanismen sowohl im Tier wie auch im Pflanzenreich. Zur Unterscheidung von den Hormonen im Tierreich werden die hormonell wirksamen Stoffe im Pflanzenreich „Phytohormone“ genannt.

Angelehnt an „Botanik“; U. Lüttge, M. Kluge; G. Bauer 1989; S. 494-5

Phytohormone wirken in sehr niedrigen Konzentrationen (µmol bis mmol). Hormone des Tierreichs wirken in Konzentrationen bis hinunter in pmol und amol Konzentrationen. Bildungs- und Wirkungsort sind häufig getrennt. Der Transportprozess kann sowohl unpolar und passiv durch Diffusion erfolgen, was zur Ausbildung eines Konzentrationsgradienten führt. Häufig erfolgt der Transport jedoch spezifisch und polar also gerichtet. Die Transportgeschwindigkeiten bewegen sich im Rahmen von 2 bis 30 mm/Stunde. Als Transportweg steht allen Hormonen der Pflanze das gesamte Leitsystem also Xylem und Phloem zur Verfügung. Nur Ethylen (Ethen) wird in der Gasphase also in den Intrazellularen innerhalb der Pflanze weitergeleitet. Ethylen wirkt zugleich auch als Pheromon, indem es auf die Nachbarpflanzen wirkt und so in Richtung auf eine Synchronisation einer Pflanzenpopulation wirkt.

Phytohormone gliedern man derzeit nach ihrer chemischen Verwandtschaft. Die Wirkungen überschneiden sich vielfach und sind ihrerseits oft von weiteren Bedingungen wie zum Beispiel der Vernalisierung, der Aktivität des Phytochromsystems (Tageslänge, Lichtintensität etc) abhängig. Auch innerhalb einer Pflanze können so unterschiedliche Wirkungen eines Hormons im Lauf der Individualentwicklung und dem Pflanzenorgan zu Stande kommen, so dass eine Gliederung nach der Wirkung schwer fällt. Von vielen Phytohormonen gibt es chemische Analoga wie auch Antagonisten, die im Pflanzenbau gerne eingesetzt werden.

Phytohormon­gruppe Vorwiegende Bildungsorte Transport in der Pflanze Wirkungen
Auxine – Meristeme

– Embryonen

– Laubblätter

– im Spross, in Koleoptilen: von der Spitze an die Basis

– in der Wurzel zur Spitze

– ungerichtete Diffusion

Fördern:

– Streckungs­wachstum

– Kambium­teilungs­aktivität

– Seitenwurzel­bildung, Stecklings­bewurzelung

– Apikaldominanz

Giberelline – Spross- und Wurzel­meristeme

– unreife Samen und Früchte

– junge Blätter

– unpolar

– in manchen Wurzeln polar von der Spitze zur Basis

Fördern:

– Streckungs­wachstum

– Kambium­teilungs­aktivität

– Apikaldominanz

Induzieren Blütenbildung

Heben Ruhezustände auf bei

– Samen

– Knospen

Cytokinine – keimende (aber nicht ruhende) Samen

– Wurzel­spitzen

– wachsende Gewebe mit intensiver Proteinbio­synthese

– unpolar Fördern

– Stoffwechsel allgemein

– Zellteilung

– Zellstreckung

– Auswachsen der Seitenknospen (= hemmen Apikaldominanz)

Heben Keimruhe der Samen auf

Verzögern Senescenz

Abscisinsäure Blätter

reife Samen

verschiedene Pflanzenteile

in jungen Sprossen und Internodien von oben nach unten, in älteren auch aufwärts Fördert Fruchtfall

Löst Ruhezustände aus

Kompensiert IES- und GA3-Wirkung

Steuert als Stresshormon Anpassungen an H2O-Mangel (Stomataverschluss)

Blütenbildung wird bei Kurztagspflanzen gefördert, bei Langtagspflanzen gehemmt

Ethylen – reifende Früchte

– verschiedene Pflanzenteile

– in Gasphase, Intrazellularen Fördert:

– Blattfall

– Fruchtreife

– Senescenz

Für die praktische Arbeit mit den Stoffen ist die genaue Kenntnis der betreffenden Moleküle entscheidend, denn Struktur bedingt, Löslichkeit, Transportweg, chemischen Umsetzbarkeit und Metabolisierbarkeit.

Als wohl bekanntestes und verbreitetstes der Auxine entsteht die Indol-3-Essigsäure aus Tryptophan, das seinerseits in der Pflanze im Shikimisäureweg synthetisiert wird. Der Einfachheit halber ist das Tryptophan hier nicht als L-, sondern als D-Aminosäure gezeichnet. Das Ergebnis die IES ist korrekt wiedergegeben.

Die Gibberelline entstehen aus Diterpenen. Es gibt circa 50 verschiedene Gibberelline. Das bekannteste ist das hier dargestellte GA3.

Die Cytokinine entstehen aus Adenin, einer Base der Nucleinsäuresynthese.

Syntheseweg der Abscisinsäure aus Sesquiterpenen

Synthese von Ethen (Ethylen) aus Methionin

Künstliche Auxine

2,4-Dichlorphenoyessigsäure (2,4-D) (wird auch als Herbizid gegen dikotyle Pflanzen eingesetzt)

Wie zum Beispiel dieser Händler in Deutschland angibt, sind nur sehr geringe Menge ohne besondere Formalitäten und Kosten beziehbar: https://phygenera.de/24-D-24-Dichlorphenoxyessigsaeure

Zu Eigenschaften und Gefahren des Stoffes informiert beispielsweise auch die Seite auf der deutschsprachigen Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/2,4-Dichlorphenoxyessigs%C3%A4ure

Da die Synthese des Stoffes verhältnismäßig einfach ist und mit einfacher Laborausstattung aus Grundstoffen darstellbar, wird an dieser Stelle nicht auf die genaue Synthese eingegangen (Quelle 7 zur Herstellung unter Wikipedia s. o.), denn das Produkt ist ein endokriner Disruptor und damit Gefahrstoff für Mensch und Umwelt.

In Versuchen mit pflanzlichen Zellkulturen und zur Induktion der somatischen Embryogenese kommt der Stoff wiederholt auch in Praktika zum Einsatz. Da die Wirkmechanismen und Metabolisierungswege noch nicht vollständig verstanden sind, sind Angaben zu erlaubten oder unbedenklichen Expositionen (z. B. Aufnahmen durch die Haut) mit größter Vorsicht zu behandeln. 2015 wurde der Stoff als „möglicherweise karzinogen“ eingestuft. Ebenfalls finden sich Hinweise in EDC-2: The Endocrine Society’s Second Scientific Statement on Endocrine-Disrupting Chemicals: https://academic.oup.com/edrv/article/36/6/E1/2354691

Sachgemäßen Umgang und Eigenschutz vorausgesetzt, findet der Stoff in den üblichen Versuchen der Pflanzenzellkultur in sehr geringer Menge und Konzentration Einsatz.

Gerade mit Blick auf die Embryogenese und der dafür erforderlichen Bildung von Polarität erscheint ein tieferes Verständnis dieses Faktors (Polarität) für die Ausbildung des Embryos, von Geweben/Organen und Regeneration erforderlich. Wenn sich diese Vorgänge bei der Pflanze auch grundlegend von denen im Tier unterscheiden und im Tierreich sehr unterschiedliche Prozesse zur Ausbildung von Polarität und Differenzierung beitragen, so können Grundelemente doch generalisiert gelten.

Durch praktische Versuche anschaulich belegt fasst dies der etwa 20 minütige Videobeitrag „Polarität bei Pflanzen“ von Manfred Weisenseel, Stefan Herb und Christian Wettstein zusammen: https://doi.org/10.3203/IWF/C-2027.