Ansprüche an moderne Zellkulturtechnik

Ziele von Zellkultur

Cell Culture in a tiny Petri dish (cropped)
kaibara87, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons
  • Grundlagenforschung zur Zellphysiologie
  • Aufklärung von Signalwegen,
  • Rezeptorstudien,
  • Untersuchungen zum Zellstoffwechsel,
  • Studien zu Differenzierung und Alterung,
  • etc.
  • Herstellung und Produktion monoklonaler Antikörper
  • Durchführung von in vitro Tests mit primärkultivierten Zellen oder Zelllinien (Diagnostik)
  • Reifung von Eizellen (befruchtet und unbefruchtet) für die IVF plus erste Teilungen vor der Implantation
  • Entwicklung von Reinigungs-, Aufarbeitungs- und Trenntechniken für zur Differenzierung / Identifikation von Zellpopulationen

Die genannten Ziele lassen sich mühelos um einige hundert weitere Ziele ergänzen. Die Alterung von Zellen und Geweben, Erkennung von Differenzierungsartefakten oder beginnende Entartung, Entschlüsselung von Infektionswegen von Viren und die Verhinderung von Infektion spielten in den vergangenen Jahren eine hervorgehobene Rolle.

Anforderungen und Wandel der Zellkulturtechnik

Im Zuge der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 genannt „REACH“ was  für „Registration, Evaluation, Authorisation und Restricion of Chemicals“ steht verpflichtete die EU Hersteller und Inverkehrbringer von Chemikalien deren Sicherheit und Unbedenklichkeit zu prüfen. Diese Prüfung sieht neben der chemischen auch eine biologische Prüfung vor. Ein Teil der biologischen Prüfung entfällt auf Prüfungen im Rahmen zellkulturtechnischer Untersuchungen.

Neuere Erkenntnisse führen zum Teil zu einer Neubewertung dieser Untersuchungen, weil über toxikologische Untersuchungen hinaus nun auch Untersuchungen auf endokrine Wirkungen und Wechselwirkungen der Substanzen geboten erscheint. Hier relevante Konzentrationen unterschreiten Grenzwerte für toxische Effekte oft um einige Zehnerpotenzen. Geeignete zellkulturtechnische Testsysteme sind oft noch zu entwickeln.  Schädigende Grenzkonzentrationen für endokrine Effekte differieren zwischen unterschiedlichen Spezies, Entwicklungsstufen, Geschlechtern etc. zum Teil sehr hoch signifikant. Der Einfluss im Rahmen der Zellkultur verwendeten Substanzen (z.B. Phenolrot, Antibiotika ….) ist relevant.

Mit der verhältnismäßig jungen Technologie zur Induktion pluripotenter Stammzellen aus funktionellen Körperzellen (zum Beispiel Epithelzellen der Blase) und deren gezielte Differenzierung öffnen der Zellkulturtechnik neue Horizonte. Die Schaffung von funktionellem Lebergewebe, Nebennierenorganoiden, Organoiden entsprechend funktionellem Gewebe (Langerhans-Zellen) der endokrinen Bauchspeicheldrüse eröffnet auch kommerziell interessante und klinisch bedeutsame Nischen für Zellkulturtechnik.

Induction of iPS cells.svg Schema zur Erzeugung von iPS-Zellen:
1) Bilden einer Zellkultur von somatischen Zellen
2) Einbringen der Pluripotenzgene in die Zellen durch einen Retrovirus-Vektor. Zellen, die die exogenen Gene exprimieren sind rot eingezeichnet
3) Ernten und Kultivieren der Zellen unter Verwendung von Fütterzellen (grau)
4) Ein kleiner Teil der Zellen (rot) wird zu iPS-Zellen.

Von <a href=“//commons.wikimedia.org/wiki/User:Y_tambe“ title=“User:Y tambe“>Y tambe</a> – <a href=“//commons.wikimedia.org/wiki/User:Y_tambe“ title=“User:Y tambe“>Y_tambe</a>’s file, CC BY-SA 3.0, Link

In der Pandemie mit SARS-CoV-2 konnten die neuen 3D-Zellkulturtechniken ihre Stärke bei der Aufdeckung von Infektionswegen des Coronavirus zeigen. Der Artikel 3D culture models to study SARS-CoV-2 infectivity and antiviral candidates: From spheroids to bioprinting“ und „Human organoid models to study SARS-CoV-2 infection“ fassen die Anwendung der neuen Techniken zusammen.

Coronavirus. SARS-CoV-2.png Von <a href=“//commons.wikimedia.org/wiki/User:AlexeySolodovnikov“ title=“User:AlexeySolodovnikov“>Alexey Solodovnikov</a> (Idea, Producer, CG, Editor), <a href=“//commons.wikimedia.org/w/index.php?title=User:Valerarkhipova&amp;action=edit&amp;redlink=1″ class=“new“ title=“User:Valerarkhipova (page does not exist)“>Valeria Arkhipova</a> (Scientific Сonsultant) – <span class=“int-own-work“ lang=“de“>Eigenes Werk</span>. Scientific consultants: Nikitin N.A., Doctor of Biological Sciences, Department of <a href=“https://en.wikipedia.org/wiki/Virology“ class=“extiw“ title=“en:Virology“>Virology</a>, Faculty of Biology, <a href=“https://en.wikipedia.org/wiki/Moscow_State_University“ class=“extiw“ title=“en:Moscow State University“> Lomonosov Moscow State University</a>. Borisevich S.S. Candidate of Chemical Sciences, Specialist in Molecular Modeling of <a href=“https://en.wikipedia.org/wiki/Virus#Structure“ class=“extiw“ title=“en:Virus“>Viral Surface Proteins</a>, Senior Researcher, Laboratory of Chemical Physics, Ufa Institute of Chemistry <a href=“https://en.wikipedia.org/wiki/Russian_Academy_of_Sciences“ class=“extiw“ title=“en:Russian Academy of Sciences“> RAS</a> Arkhipova V.I., specialization in Fundamental and Applied chemistry, senior engineer, <a href=“https://en.wikipedia.org/wiki/RNA“ class=“extiw“ title=“en:RNA“>RNA</a> Chemistry Laboratory, Institute of chemical biology and fundamental medicine SB RAS, CC BY-SA 4.0, Link

 

Mittels 3D-Druck lassen sich Gerüste aus Collagen und Lamin als Basis für Tissue Engineering zur korrekten Besiedlung mit Zellen drucken, die anschließend transplantierbar sind.

Allein ein Gerüst aus Collagen und Lamin genügt zur korrekten Wiederbesiedlung und Differenzierung von / mit Zellen, um ein schlagendes Herz zu erzeugen, was Forscher bewiesen indem sie das Herz einer Ratte von all seinen Zellen befreiten. Nur das Gerüst blieb stehen. Dann ließen sie das Gerüst von geeigneten Zellen neu besiedeln und es entstand ein schlagendes Herz.

Derzeit gibt es Entwicklungen zum vollständigen Druck von Organen, was derzeit aber erst mit relativ kleinen Organen klappt.

Fazit der neuen Anforderungen

Im Vergleich zu im derzeitigen Umgang im Labor üblichen Zellmengen werden für den 3D-Druck sehr viel größere Zellzahlen benötigt. Zur Abschätzung mag die Anzahl Hefezellen in einem Hefewürfel (42g) dienen. Dieser enthält etwa 700 Milliarden Zellen. Ein Zellpellet in Hefewürfelformat lässt sich im Standardzellkulturlabor nicht einfach gewinnen. Große Gebinde, viel Medium, hervorragende Belüftungstechnik und ein abgestimmtes, steriles, am besten automatisiertes Kulturmanagement wären erforderlich.

Sind die Zellen nicht von ausreichend ähnlicher Qualität und Differenzierung, müssten sie schnell differenziert und sortiert / getrennt werden.

3D-Druck von Gerüstmaterial erfordert große Mengen an druckbarer Gerüstsubstanz in klinischer Qualität. „Design and 3D-Printing of Scaffolds and Tissues

Die Kulturzeiten werden sich aufgrund der geforderten Zellzahlen stark verlängern.

Unter Umständen wird eine Reiuvenilisierung der Zellen erforderlich. Wie werden sich die Mitochondrien in diesem Kontext verhalten? Ihre DNA besitzt keinen Reparaturmechanismus. „Variability of human pluripotent stem cell lines

Überwachung und Dokumentation von Kulturen und Handhabungen wird intensiviert werden müssen.

Die Bedeutung von Kontamination und Kreuzkontamination wachsen exponentiell

Kontaminationen von Zellkulturen können durch lebendige, selbstvermehrende Strukturen wie Mycoplasmen, Bakterien, Pilzen oder Fremdzellen erfolgen. Auch Prionen sind in der Lage in Kultur befindliche Zellen zu infizieren und von diesen vermehrt zu werden. Quellen von Mycoplasmen können das Personal und von Prionen das Personal und das in der Zellkultur verwendete Serum sein. Bakterien und Pilze gelangen meist ebenfalls durch das Personal aber auch durch nicht fachgerechte Handhabung und defekte Technik beim Passagieren in die Kulturen. Kontaminationen durch Fremdzellen erfolgen fast ausschließlich durch unsachgemäßes Handling der Zellkulturen, wenn mehr als eine Kultur zugleich gehandhabt wird.

Nur ein Teil der Kontaminationsproblematik ist erkannt:

https://docplayer.org/33834971-Sicheres-und-kontaminationsfreies-arbeiten-mit-zellkulturen.html

und: https://www.sigmaaldrich.com/DE/de/technical-documents/technical-article/cell-culture-and-cell-culture-analysis/mammalian-cell-culture/cell-culture-troubleshooting-cell-line-misidentification

Die Version 2.0 der Guten Zellkulturpraxis geht mit einem Teil dieser Probleme um und hilft bei der Identifikation (STR- und Isoenzymanalyse). https://de.wikipedia.org/wiki/STR-Analyse

sowie zur GCCP Ver. 2.0 https://kops.uni-konstanz.de/server/api/core/bitstreams/9518fad1-3d82-48c8-9cf9-0cbafac8bf2c/content und https://www.mdpi.com/2073-4409/12/5/682

Der oben verlinkte Entwurf des MDPI trägt die Überschrift: „A Beginner’s Guide to Cell Culture: Practical Advice for Preventing Needless Problems“ und berücksichtigt zusätzlich Probleme, wie sie durch die Verwendung von Phenolrot als pH-Indikator im Zellkulturmedium entstehen, das vielen Medien beigefügt ist. Ebenfalls im Scope sind Prionen oder „Nebenwirkungen“ in der Zellkultur oft verwendeter Antibiotika. Eine anschauliche Erläuterung und Anwendung des STR-Verfahrens ist Teil des Textes. Dieser Entwurf subsummiert chemische Verunreinigungen also ebenfalls unter „Kontamination“, was durchaus sinnvoll erscheint, denn es ist ein häufiges Problem und insbesondere in Verfahren zur Beurteilung von endokrinologisch relevanten Stoffen bedeutsam.

Es gibt mehr als nur einen Entwurf zur Guten Zellkulturpraxis. Auch die OECD und andere bieten sinnentsprechende Dokumente mit unterschiedlichem Anwendungsbereich an. Es deckt sich nicht mit dem Angebot der „Alternatives to animal Experimentation“ GCCP 2.0

https://www.altex.org/index.php/altex/article/view/2376

Zu anderen, ebenfalls im Rahmen der Zellkulturen eingesetzten Kunststoffen kann diese Studie des Umweltbundesamtes aus 2011 Hinweise geben: http://www.uba.de/uba-info-medien/4228.html

Die Replikationskrise und mögliche Ursachen

Reproduzierbarkeit von Ergebnissen im Rahmen von Zulassungsverfahren ist essentiell. Die Wiederholbarkeit einer Untersuchung mit sich allenfalls nicht signifikant  unterscheidenden Ergebnissen ist das Rückgrat der gegenseitigen Anerkennung von Prüfungen. Wenn wissenschaftliche Untersuchungen in sehr vielen Fällen (bis 80%) nicht reproduzierbar sind, dann entsteht ein Glaubwürdigkeitsproblem. Replizierbarkeit ist die Basis neuer Erkenntnis. Die „Replikationskrise“ ist ein Sammelbegriff für die Tatsache, dass ein erheblicher Anteil veröffentlichter Studien nicht nur der Biowissenschaften nicht oder nicht in der erwarteten Form wiederholbar waren/sind. Für Naturwissenschaft und Medizin ein fataler Zustand. Statt eine zielorientierte Qualitätssicherung mit Verifikation und Rückführung der für Messungen eingesetzten Methoden und Geräte zu etablieren, beschränkt man sich bisher in Deutschlands Forschung auf kooperations- und anspruchskosmetische Regelungen zur „Guten Wissenschaftlichen Praxis“. https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/rechtliche_rahmenbedingungen/gute_wissenschaftliche_praxis/kodex_gwp.pdf

Dabei steht auch für die Nichtroutineanalytik der Entwurf eines Qualitätssystems zur Verfügung

https://eurolab-d.de/files/quality_assurance_for_research_and_development_an_non-routine_analysis__1998__-_deutsche_version.pdf

Wer sich nur auf Lieferanten verlässt – ist verlassen. Auch das DSMZ fand in einer Studie eine hohe Zahl kontaminierter bzw. fehldeklarierter Zelllinien (69% der Zellen waren authentisch und mykoplasmenfrei). Jedes dritte „Los“ eine Niete?

In der Forschung gelangen viele Zellen mit ihrem Untersucher oder als „Spende“ in die Labore und werden dort als eher „Normal“ im Sinne einer Rückführung betrachtet, als dass ihre Identität und Eigenschaften verifiziert werden.

PAA Laboratories war einer der größten Lieferanten von FCS (fetalen Kälberserum). Er belieferte Schätzungen zufolge etwa ein Drittel des Marktes (https://www.laborjournal.de/editorials/770.php) mit einem Material, das die Firma mit nichtdeklarierten Zusätzen „optimiert“ hatte. Testungen von Serumchargen auf Eignung für den beabsichtigten Gebrauch sollten zum üblichen Standard im kompetenten Zellkulturlabor gehören. Die Reaktionen von Zellen sind unter anderem auch abhängig von den Inhaltsstoffen ihres Kulturmediums.

Zellen verändern ihre Eigenschaften im Laufe ihrer Kulturdauer.

https://www.nature.com/articles/s42003-021-02116-y

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4334405/

Einfrier- und Auftauvorgänge nehmen wesentlichen Einfluss.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6168476/

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5466057/

Fazit: Möglicherweise beteiligte Ursachen der Replikationskrise

  • Mangelnde Kompetenz
  • Qualitätsferne Handhabung (Verifikationsmängel)
  • Biologische Tatsachen waren noch nicht bekannt
  • Mangelnde Sorgfalt wesentlicher Lieferanten
  • Betrug von Lieferanten
  • Leichtfertigkeit im Umgang mit Biostoffen

Zellkulturtechnik soll bisher unfassbare Eigenschaften und Leistungsfähigkeit besitzen.

Zellkultur soll:

  • Aussagen über toxikologische Eigenschaften definierter Stoffe in einem definierten nichttierischen Untersuchungssystem ermöglichen.
  • Organe funktionell ersetzen können.
  • Aussagen zur endokrinologische Wirksamkeit von Stoffen ermöglichen.
  • Stoffe wie Antikörper, Enzyme, Medikamente erzeugen.
  • Ersatz für defekte Organe (Haut, Niere, Ohr, Herz, Blut) schaffen.
  • Eizellen reifen und nach der Befruchtung zu Embryonen reifen.
  • Nabelschnurzellen, Eizellen, Spermien für Jahrzehnte konservieren.
  • dem Leben einen Teil seiner Risiken und seiner Begrenztheit nehmen.